Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Die ‹Schlange von Biel› ist eingeweiht

Nach fast fünf Jahren Bauzeit ist Anfang Oktober der Swatch-Hauptsitz in Biel eröffnet worden. Der organisch gewundene Holzbau von Stararchitekt Shigeru Ban bricht mit gängigen Vorstellungen von Bürohausarchitektur. Verwendet wurde ausschliesslich Holz aus der Schweiz, hauptsächlich Fichte.

Swatch-Neubau in Biel, 2019
Bilder Swatch Group

 

 

Der 1957 in Tokio geborene Shigeru Ban ist für seine filigranen Strukturen und unkonventionellen Methoden ebenso wie für sein humanitäres Engagement als Architekt bekannt. Unvergessen ist Bans Pavillon für Japan an der Weltausstellung 2000 in Hannover – ein Gewölbe aus verschnürten Kartonröhren und gebogenen Holzleitern unter einer wasserfesten Papiermembran. Dem Schweizer Publikum ist der Japaner durch den 2013 eingeweihten Zürcher Holz-Neubau für Tamedia ein Begriff geworden (Lignum Journal online vom 10.7.2013).

 

Die Swatch Group arbeitete zum ersten Mal beim 2007 eröffneten Nicolas G. Hayek Center in Tokio mit dem Architekten zusammen. 2011 setzte sich sein Entwurf für den Neubau des Swatch-Hauptsitzes, der neuen Omega-Manufaktur und der ‹Cité du Temps› im Architekturwettbewerb der Swatch Group durch. Die ‹Cité du Temps› vereint Museumsräume der Marken Swatch und Omega.

 

Mit seinem Entwurf gelang Shigeru Ban der gestalterische Spagat, den beiden sehr verschiedenen Marken Omega und Swatch ein architektonisches Gesicht zu geben und die denkmalgeschützten Industriebauten aus der Frühzeit der Industrialisierung zu integrieren.

 

Schimmernde Haut über Hunderte Meter

 

Auf insgesamt 240 m Länge und 35 m Breite erstreckt sich die schimmernde, geschwungene Silhouette des neuen Swatch-Gebäudes. Das aussergewöhnliche Design, das die Phantasie weckt, bricht mit den Konventionen klassischer Bürohaus-Architektur und fügt sich doch harmonisch in die städtische Umgebung ein. Die gewölbte Fassade mit einer Fläche von über 11000 m2 steigt Richtung Eingang und Übergang zur ‹Cité du Temps› sanft an.

 

Eine Gitterkonstruktion aus etwa 4600 Holzbalken bildet ihr Grundgerüst. Das Naturmaterial kam nicht nur aufgrund seiner Nachhaltigkeit zum Zug, sondern auch deshalb, weil es sich mit modernster Planungs- und Zuschnitttechnologie in komplexe Formen bringen lässt, bei denen es auf grösste Genauigkeit ankommt. Auf den Zehntelmillimeter genau planten die Freiform-Spezialisten von Blumer-Lehmann den Holzbau. Es ist bereits das vierte Projekt, das in Zusammenarbeit der Ostschweizer Holzbaufirma mit dem japanischen Architekten entstanden ist.

 

Holz-Gitter mit Wabenfüllungen

 

Nach einem ausgeklügelten Steckprinzip wurden die einzelnen Balken passgenau miteinander verbunden. Da die Holzgitterschale des Swatch-Gebäudes als grossflächige Bürofassade dient, musste sie zudem verschiedenen technischen Anforderungen gerecht werden. Ein komplexes Geflecht aus Leitungen ist diskret in ihre Struktur integriert.

 

Die eigentliche Gitterschale baute man in 13 aufeinanderfolgenden Etappen auf. Zuerst wurden die Schwellenelemente verankert, danach konnte von unten nach oben aufeinander zu gearbeitet werden, um in der Firstlinie in der Mitte zusammenzutreffen. Auch wenn alles vorher haargenau geplant und berechnet worden war, blieb die Spannung speziell bei der ersten Etappe hoch – bis die beiden Flanken schliesslich millimetergenau aufeinandertrafen.

 

Noch während die Holzkonstruktion errichtet wurde, begann der Einbau der insgesamt rund 2800 Wabenelemente, die den grössten Teil der Fassade ausmachen. Jedes Element wurde aus bis zu 50 Einzelteilen sorgfältig massgeschneidert und seiner individuellen Funktion und Position angepasst. Drei Arten von Waben lassen sich unterscheiden: opake, transluzente und transparente Elemente.

 

Von opak bis transluzent

 

Das reguläre opake Element stellt die Mehrheit der Waben dar. Es handelt sich um ein geschlossenes Element mit witterungsbeständiger und lichtundurchlässiger Aussenfolie, das in erster Linie als Sonnenschutz dient. Einige dieser Elemente lassen sich zur Entrauchung öffnen, während andere mit Fotovoltaikzellen versehen sind.

 

Das transluzente Kissenelement wiederum ist mit Luft aufgepumpt und in der Mitte zur Wärmedämmung mit lichtdurchlässigen Polykarbonat-Platten versehen. Die Kissen, die auch die Belastung durch Schnee und Eis aushalten müssen, werden ständig leicht belüftet, damit sie dauerhaft unter Spannung stehen.

 

Transparente Elemente und Balkone

 

Das transparente Element schliesslich besteht aus durchsichtigem Glas. Zum Wärmeschutz wurden insgesamt vier Glasscheiben eingesetzt, zwischen die ein weisses Rollo eingelassen ist. Auch diese Elemente werden immer leicht belüftet, damit sich kein Kondensat bilden kann.

 

Insgesamt neun Balkone mit einer Grösse von 10–20 m2 gewähren auf mehreren Etagen Aus- und Einblicke. Winzige weisse Punkte auf den Glasfassaden dienen als Sonnenschutz. 124 hölzerne Schweizerkreuze an der Decke verbessern dank ihrer feinen Perforierung die Akustik in den Büros.

 

Gemeinschaftliches Arbeiten unter einem Dach

 

Im Inneren des Gebäudes verteilen sich insgesamt 25000 m2 Geschossfläche auf fünf Stockwerke für alle Abteilungen von Swatch International sowie Swatch Schweiz. Die Fläche der vier oberen Etagen verringert sich schrittweise von Etage zu Etage. Galerien mit Glasbrüstungen ermöglichen einen Blick auf die unteren Etagen.

 

Neben den regulären Arbeitsplätzen sind über das ganze Gebäude Gemeinschaftsflächen verteilt: eine Cafeteria im Erdgeschoss, die allen Angestellten und Besuchern offensteht, sowie kleine Pausenzonen an verschiedenen Stellen im Gebäude. Wenn Privatsphäre benötigt wird, stehen separate Kabinen zur Verfügung, in denen bis zu sechs Mitarbeiter für Telefongespräche oder konzentriertes Arbeiten Platz finden.

 

Holz als Eckpfeiler der Nachhaltigkeit

 

Die Wahl des Baustoffs Holz trägt massgeblich zu einer guten CO2-Bilanz bei. Ausschliesslich Holz aus Schweizer Wäldern, hauptsächlich Fichtenholz, kam beim Bau zum Einsatz. Insgesamt wurden knapp 1997 m3 benötigt – eine Menge, die im Schweizer Wald in weniger als zwei Stunden wieder nachwächst.

 

Das Energiekonzept beruht auf Solartechnologie und Grundwassernutzung und ermöglicht es, Gebäudefunktionen wie Lüftung, Kühlung, Heizung und Grundbeleuchtung sowohl für den Swatch-Hauptsitz als auch für die ‹Cité du Temps› autonom zu betreiben.

 

Die Grundwassernutzung sichert die Beheizung und Kühlung des neuen Swatch-Gebäudes. In die Wabenstruktur der Fassade wurden 442 individuell gefertigte, gebogene Fotovoltaikelemente eingesetzt. Die insgesamt 1770 m2 aktive Fläche generieren pro Jahr rund 212,3 MWh Strom.

 


Links www.swatch.com | www.lehmann-gruppe.ch