Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Revision der Eurocodes kommt voran – die Schweiz ist dabei

Seit etwa fünf Jahren läuft die Revision der europäischen Tragwerksnormen. Ein Statusbericht von S-WIN unter der Leitung von Prof. Andrea Frangi (ETH Zürich) gab im Oktober einen ersten Überblick zu den Arbeiten am Eurocode 5, der europäischen Tragwerksnorm für den Holzbau.

Die Holzbaunormen schaffen Sicherheit in der Planung und Ausführung von Tragstrukturen. Im Bild die Baustelle des Tamedia-Gebäudes in Zürich (eröffnet 2013), eine unkonventionelle Tragstruktur aus Holz mit dem Einsatz von hochfestem Holz für Verbindungen anstelle von Stahl (Architektur: Shigeru Ban, Paris/Tokyo, Konzept Tragwerk: Hermann Blumer, Ausführung: Blumer Lehmann AG, Waldstatt)
Bild Charles von Büren, Bern

 

Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA beteiligt sich mit Fachexperten eingehend bei der Erarbeitung der zweiten Eurocodes-Generation. Das Normengremium CEN/TC 250/SC5 befasst sich mit der europäischen Tragwerksnorm für den Holzbau Eurocode 5, die aktuell aus den drei Teilen EN 1995-1-1, EN 1995-1-2 und EN 1995-2 besteht. 

Die finalen Entwürfe und Hintergrunddokumente zu wichtigen Teilen der EN 1995-1-1 (Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau) liegen nun vor. Indessen konnte, bedingt durch die aktuelle Corona-Situation, der Fortbildungskurs zum Thema in Weinfelden nicht stattfinden. Deshalb hat Swiss Wood Innovation Network S-WIN am 21. Oktober eine Onlinetagung zum Thema organisiert.


Auswirkung auf eine halbe Million Ingenieure in ganz Europa

Quo vadis? So stand es im Titel der Ankündigung zum Statusbericht über die Revision der Eurocodes. Wohin also führen dereinst die revidierten Eurocodes? In der Schweiz seien die Eurocodes nicht verbindlich, so Tagungsleiter Andrea Frangi (Institut für Baustatik und Konstruktion IBK, ETH Zürich), aber sie könnten in der Schweiz verwendet werden. Und die SIA-Normen sollten keine Widersprüche gegenüber den Eurocodes haben.

Sechs Referenten gaben einen Überblick zum aktuellen Stand der laufenden Revisionsarbeiten. In der Einführung zum Anlass betonte Hans-Rudolf Ganz als Präsident der SIA-Kommission für Tragwerksnormen die umfassende Wirkung der Eurocodes: Sie beträfen 500000 Ingenieure in 34 Ländern im Bereich CEN, mit Aufträgen für Planungen im Betrag von geschätzten EUR 65 Mia.

Die Arbeit ist in vier Phasen gestaffelt – von 2015 bis Ende 2021. Es arbeiten daran 73 Projektteams. Ziel ist unter anderem eine verbesserte Anwenderfreundlichkeit. An den Eurocodes der ersten Generation war die Schweiz nicht beteiligt. Der SIA hat ab 2003 entsprechende ‹Swisscodes› publiziert. Die Projektpartner für die nun laufende Revision kommen aus Behörden, Industrie und auch aus der Lignum.


Konsensfindung zur neuen Holzbau-Norm Eurocode 5

Die Schweiz ist seit 1978 Mitglied von CEN (European Committee for Standardization, des Europäischen Komitees für Normung) mit Sitz in Brüssel. Involviert sind sehr viele Fachleute aus den beteiligten Ländern, die sich in Fachgruppen organisieren. René Steiger (Structural Engineering Research Lab, Empa Dübendorf) erläuterte dessen Arbeitsweise zur Erarbeitung der Eurocodes detailreich und klar mit Blick auf die Mitwirkung der Schweiz. Steiger betonte insbesondere, dass die Normen die Arbeit der Ingenieure zu unterstützen hätten, es seien also keine ‹Rezepte›.

Die Formulierungen der Normen sind klar geregelt. Die Schlussformulierung im Konsens aller beteiligten Länder zu finden sei nicht immer einfach. Es gebe Länder, die den Ingenieuren viele Freiheiten liessen, andere kennten das System der Prüfingenieure, und zudem beeinflussten auch die Produzenten von Halbfertigprodukten wie Platten oder Brettsperrholz die Diskussion.


Arbeit an Begriffen und Konzepten für ein gemeinsames Verständnis

Die künftigen Eurocodes werden sich von den EN 1995-1-1 in zahlreichen Details unterscheiden. Die Anhänge (Annexe) werden ausgeweitet von bisher vier auf voraussichtlich sieben. So ist zum Beispiel der für den Baustoff Holz bedeutende Begriff der Nachhaltigkeit – ‹Sustainability› – neu vertreten.

René Steiger erläuterte zudem, wie etwa der Begriff der Robustheit im Rahmen der neuen Normen Anwendung finden könnte. Stichworte dazu sind Verformungen und Schwingungen, wesentlich zudem die Dauer der Einwirkungen. Ein wesentliches und nicht vernachlässigbares Thema ist auch der Einfluss der Holzfeuchte auf Holzkonstruktionen ganz allgemein, wie Steiger betonte.


Auch die Erfahrung aus der Baupraxis fliesst ein 

Nicht alle Vorschläge wurden allgemein akzeptiert und fanden Eingang in die Normierung. Die Diskussion zeigte, dass auch die Erfahrungen aus der Baupraxis und aus Laborexperimenten sowie aus Schadenfällen zu neuen Erkenntnissen führen können, die je nachdem die Normierung mehr oder weniger beeinflussen. Die unterschiedlichen Eigenschaften von Halbfertigprodukten im Bereich Holz (Brettschichtholz, Brettsperrholz, Massivholz) oder auch hybride Konstruktionen wie etwa der Holz-Beton-Verbund vereinfachen offensichtlich die Normung nicht.

Weitere Ausführungen betrafen die Bemessung von Holzkonstruktionen und die damit verbundenen länderspezifischen Gewohnheiten und Anforderungen. Auch hier sind die Einflüsse aus der Baupraxis und die Materialeigenschaften wesentliche Elemente. Was letztlich in der Norm stehe, dürfe nicht fehleranfällig sein, und trotzdem dürfe es nicht allzu kompliziert sein, führte Steiger weiter aus.


Verbindungen – ein tragendes Thema beim Holzbau

Im Holzbau sind Verbindungen ein wesentliches Element, wenn nicht sogar das wesentlichste Konstruktionsmerkmal. Robert Jockwer (Chalmers University of Technology, Architecture and Civil Engineering, Göteborg) zeigte Beispiele von klassischen Holz-Holz-Verbindungen und Stahl-Holz-Verbindungen, also vielfach stiftförmige Verbindungen wie auch Nagelplatten.

Als wesentlich nannte er die praktische Anwendung der Verbindungen und die einfache Nutzung (ease of use). Den weitaus grössten Raum nehmen in der Norm die stiftförmigen Verbindungen ein (Nägel, Klammern, Stabdübel, Bolzen, Schrauben, Ringdübel usw.). Als wesentlich für Tragwirkung und Berechnung nannte Jockwer auch die Abstände, mit denen Verbindungen eingesetzt sind. Beide Parameter sind wichtig – sowohl die Tragkraft der Verbindungsmittel selber als auch die Masse der betroffenen Holzquerschnitte und deren mögliche Belastbarkeit. 


Weiterhin eine komplexe Materie: Brandverhalten von Holz

Die Evolution der Euronormen sollte aus der Sicht von Andrea Frangi auch im Bereich Brandschutz Vereinfachungen möglich machen. Trotzdem sind zehn Anhänge vorgesehen. Brandschutz von Holz berücksichtigt bei den einschlägigen Berechnungen die Effekte aus der Verkohlung während eines Abbrands (Abbrandphasen). Dass dabei die eingesetzten Holzarten (z.B. Nadel- oder Laubholz) eine wichtige Rolle spielen, liegt auf der Hand. Dasselbe gilt für brandsichere Beplankungen, ihre Eigenschaften, Dicke und sichere Verankerung.

Das Institut für Baustatik und Konstruktion IBK der ETH Zürich sammelt Daten über Brandversuche (bisher 35) und kann darauf basierend in Tabellen Aussagen über das Brandverhalten von Holzkonstruktionen machen. Im Brandfall nimmt die Bruchfestigkeit bei Druckbelastung des Holzes schneller ab als bei Zugbelastung. Solche Fakten schlagen sich auch in den Normen nieder. Auch für die verschiedenen Materialien für Beplankungen (z.B. Gips- oder Mineralstoffplatten) bestehen nun Werte, die für den rechnerischen Nachweis der Brandsicherheit wesentlich sind.


Spannenende Einblicke in Arbeiten im Bereich Brückenbau

Das Projektteam für die Revision ‹EN 1995-2, Teil 2: Brücken› besteht aus erfahrenen Spezialisten im Bereich Holzbrückenbau. Andreas Müller (Leiter Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur an der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau, Biel) stellte mit Befriedigung fest, dass rund 90% der Arbeiten in diesem Bereich bereits bewältigt seien.

Selbstverständlich sei noch Detailarbeit zu leisten. Die Frage laute, wie detailliert eine Bemessungsnorm sein müsse. Beim Brückenbau dürfte die Dauerhaftigkeit wichtigstes Thema sein, verbunden mit Überlegungen zum Unterhalt. Müller informierte, dass das Ziel bei einer Dauerhaftigkeit von 100 Jahren liege. Dabei müsse auch für die Stahlteile, für die bisher eine Lebensdauer von 50 Jahren gegolten habe, eine gangbare Lösung gefunden werden.

Fast mehr noch als beim Geschossbau ist beim Brückenbau die Detaillierung wesentlich. Brücken sind ganz direkt den Auswirkungen aus der Witterung und Umwelt allgemein ausgesetzt und müssen mit bewegten Lasten zurechtkommen. Für den Nutzungskomfort sei unter anderem das Schwingungsverhalten einer der wesentlichen Faktoren. Bezüglich Dauerhaftigkeit dürfte die mögliche Materialermüdung ein Faktor sein, der nicht zu vernachlässigen ist.


Link www.s-win.ch