Lignum Holzwirtschaft Schweiz

‹Wertschöpfung mit Holz muss zusammenspannen›

Die Initiative ‹Wald & Holz 4.0› unterstützt die Wald- und Holzwirtschaft im tiefgreifenden Wandel durch die digitale Transformation. Rolf Baumann, der die Initiative an der Berner Fachhochschule lanciert hat, beleuchtet im Gespräch Chancen und Risiken für die Schweizer Wald- und Holzwirtschaft.

Rolf Baumann
Bild BFH-AHB

 

 

Wir sprechen über die digitale Transformation in der Wald- und Holzwirtschaft. Könnten Sie bitte den Begriff kurz eingrenzen?

 

Wir verwenden ‹Wald & Holz 4.0› als Bezeichnung für die digitale Transformation des gesamten Wertschöpfungsnetzwerkes Holz, vom Endkunden zurück bis zum Einmessen des Baumes im Wald. Dabei schliessen wir Konzepte aus Industrie 4.0 ebenso mit ein wie neue digitale Technologien, neue Arbeitswelten, intelligente und nachhaltige Produkte sowie mit der Digitalisierung verbundene Wechselwirkungen des Marktes. Es gibt keine einheitliche Definition. ‹Wald & Holz 4.0› stimmt für mich am besten, da der Begriff einen Paradigmenwechsel und einen revolutionären Ansatz beinhaltet. Der Begriff ‹Industrie› passt nicht so gut, da sich die Wald- und Holzwirtschaft eher nicht als Industrie versteht.

 

Sie sind der Begründer der Initiative ‹Wald & Holz 4.0›. Welche Motivation gab es für die Lancierung dieses Projekts?

 

Ich beschäftige mich seit etlichen Jahren intensiv mit der digitalen Transformation. Das Tempo ist sehr hoch. Es findet ein weltweiter Wettbewerb um die Führungsrolle in diesem Bereich statt, und niemand will den Anschluss verpassen. Allein in Deutschland, wo der Begriff ‹Industrie 4.0› geprägt wurde, werden mehrere hundert Millionen Euro in die Forschung und Initiativen investiert. Doch reden wir dort in bezug auf KMU von anderen Grössenordnungen. Die Themen und Lösungsansätze lassen sich deshalb nicht einfach auf die Schweizer Strukturen und auf unsere branchenspezifischen Eigenheiten übertragen. Die Adaption hat jedoch niemand in die Hand genommen. Die Digitalisierung steht zwar auf jeder Agenda, doch sind sowohl die Strukturen als auch die finanziellen Mittel zu klein, um etwas Substantielles zu machen. Es braucht die Zusammenarbeit. Das war der Grund für die Überlegung, die Branche an einen Tisch zu bringen und gemeinsam mit der Wirtschaft zumindest ein wenig in diese Richtung zu ziehen.

 

Welche branchenspezifischen Eigenheiten hinsichtlich der digitalen Transformation ergeben sich denn im Vergleich zu anderen fertigenden Branchen?

 

Einerseits ergeben sich durch die materialspezifischen Besonderheiten des biologischen Rohstoffs Holz unterschiedliche Verarbeitungsprozesse. Auch das Wertschöpfungsnetzwerk vom Wald bis zum fertigen Produkt gestaltet sich anders als bei Materialien wie Glas, Stahl oder Kunststoff. Ebenso kommen andere Verfahren zum Einsatz, wie zum Beispiel GIS-Systeme, Satelliten für Waldinventuren, optische oder tomografische Systeme beim Rundholz-Einschnitt und so weiter.
Andererseits dominieren kleine und mittlere handwerklich orientierte Betriebe die holzverarbeitende Branche. Sowohl die Industrie in der Massenproduktion als auch die Individualanfertigung zielen auf Losgrösse 1, aber von unterschiedlichen Seiten. Sollte die Industrie mit dem Paradigma ‹Mass Customization› – also Losgrösse 1 zu Kosten der Massenproduktion – Erfolg haben, muss das Handwerk eine Lösung finden, um nicht überflüssig zu werden. Losgrösse 1 ist für die Industrie nach wie vor eine Herausforderung. Das Handwerk macht Einzelanfertigungen mühelos, sehr flexibel und mit viel Fachwissen, aber viel zu teuer. Die Herausforderung sind hier die Kosten und die Qualität.

 

Welches sind bisher die wesentlichsten Erkenntnisse aus der Initiative ‹Wald & Holz 4.0›?

 

Mir wurde insbesondere bewusst, wie sehr die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Wald- und Holzwirtschaft fehlt. Alleine haben wir jedoch keine Chance, dafür sind wir viel zu klein. Soll in Richtung 4.0 etwas geschehen, muss das Wertschöpfungsnetzwerk zusammenspannen. Mir scheint, dass entweder jeder für sich oder jeder gegen jeden unterwegs ist. Wir haben in der Holzwirtschaft 10000 Unternehmen mit 80000 Beschäftigten. Einzelne führende Unternehmen im Bereich Industrie 4.0 beschäftigen fünfmal mehr Personen als die gesamte Schweizer Holzwirtschaft. Was passiert, wenn grosse Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen in den Markt eintreten? Die Grössenordnungen auf dem Weltmarkt können durchaus zu einer Bedrohung werden.
Es gibt aber auch Chancen. Die Fachkräfte und Infrastruktur sind an sich gut, der Rohstoff wächst vor der Türe. Mit diesen Komponenten lässt sich in ökologischer und gesellschaftlicher Hinsicht etwas Sinnvolles machen – und dank der Digitalisierung auch auf wirtschaftliche Weise. In den drei Themenbereichen, die die Initiative behandelt, kristallisieren sich drei Trends heraus: Ein Trend zielt in Richtung Grösse. Unternehmen können die Vermarktung und die Prozesse optimieren, den Partnern die Bedingungen aufdrücken und damit Marktmacht ausspielen. Ein zweiter Trend zielt in Richtung Kooperationen. Unternehmen vernetzen sich zu flexiblen, leistungsfähigen, dezentralen Netzwerken. So können Entwicklungs- und Vermarktungskosten geteilt werden. Der dritte Trend zielt in Richtung Nische. Dabei kann eine Nische durchaus auch gross sein. Es geht darum, den Kunden in einem spezialisierten Bereich einen echten Mehrwert zu bieten und damit die Marktführerschaft zu übernehmen.

 

Ist eine Fortsetzung der Initiative angedacht?

 

Mit der Initiative wurde ein erster Schritt gemacht. Es hat sich gezeigt, dass das Bedürfnis in der Branche vorhanden ist. Gerne würden wir den Gedanken der Initiative weiterführen. Es wäre schade, das aufgebaute Netzwerk nicht weiter zu nutzen. Wir überlegen, wie und in welcher Form das geschehen kann, und klären die Finanzierung.

 

Welches sind für Sie die grossen Themen in bezug auf die digitale Transformation in der Wald- und Holzwirtschaft in den nächsten Jahren?

 

Erstens das Web-Business; der Bereich der Konfiguratoren wird weiterhin massiv zunehmen. Zweitens gibt es bei der Automatisierung in der Fertigung noch viel Luft, vor allem bei der Vernetzung der verschiedenen Komponenten, so dass man sich selbstorganisierenden Systemen nähert. Drittens werden die neuen Technologien wie Robotik, 3D-Druck, Augmented oder Virtual Reality Einzug halten und integriert werden müssen. Die Komplexität wird deutlich zunehmen. Die ganzen technologischen Möglichkeiten sind jedoch nur Ermöglicher in Richtung mehr Effizienz, verbesserte Kundenerlebnisse, neue Geschäftsmodelle, andere Arbeitsweisen.

 


Link www.wh40.ch

 

Dieses Projekt wurde realisiert mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) im Rahmen des Aktionsplans Holz.