Das Dorf – des Schweizers Ideal
Im Bild: Seengen (3785 Einwohner) im Luzerner Seetal, einer der Fallregionen des neuen WSL-Berichts.
Foto Felix Neff | WSL
Obwohl die Siedlungsfläche seit 1985 um ein Vierteil zugenommen hat und drei Viertel der Menschen in Städten leben: Im Herzen sind Herr und Frau Schweizer Dorfbewohner geblieben. Dies belegt eine Umfrage bei rund 1200 Schweizer Einwohnern, deren Resultate Maarit Ströbele und Marcel Hunziker von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in einem neuen Bericht präsentieren.
Auf die Frage, wie sie am liebsten wohnen möchten, gaben 72% dem Dorf hohe oder höchste Präferenz. 67% geben der Kleinstadt diese Noten, aber nur 30% grösseren Städten. Die Agglomeration kommt auf immerhin 37%. Ein Grossteil der Bevölkerung möchte also ländlich wohnen. Andererseits wünscht man sich auch gute öffentliche Verkehrsmittel und eine Anbindung ans Strassennetz. Beides wäre in den Agglomerationsgemeinden zu haben, die aber paradoxerweise eher unbeliebt sind.
Freiräume als Kapital
Die Vorliebe für das Wohnen im Grünen beschert Gemeinden im Einzugsgebiet grosser Städte ein kräftiges Bevölkerungswachstum. Ein Forscherteam hat die Entwicklungschancen von vier Modellregionen untersucht, die weniger als eine Fahrtstunde vom Grossraum Zürich entfernt sind und unter starkem Siedlungsdruck stehen: Glarus Nord, das Luzerner Seetal, das Obere Freiamt im Aargau und die Linthebene in der st. gallischen Region Gaster.
Just die Vorteile dieser Regionen – die gute Verkehrserschliessung und die ruhige und ländliche Wohnumgebung – drohen zum Bumerang zu werden. Mit der fortschreitenden Verbauung ihrer Freiräume laufen diese Regionen Gefahr, ihr wichtigstes Kapital zu verlieren. Dies ist den lokalen Entscheidungsträgern durchaus bewusst, ergaben Workshops im Rahmen der Fallstudien.
Aktueller Trend unerwünscht
Das Forscherteam um Silvia Tobias entwickelte diverse Zukunftsszenarien mit verschiedenen Annahmen zum Bevölkerungswachstum sowie zur Bau- und Verkehrsentwicklung. Schlecht kommt es, wenn man weitermacht wie bisher: Die Umgebung wird grossflächig in geringer Dichte besiedelt, Natur- und Erholungsorte gehen verloren, Dörfer werden zu Schlaforten für Pendler. Diese Variante ist das Negativbild für die Verantwortlichen vor Ort.
Als vielversprechende Lösung kristallisierte sich eine Entwicklung der regionalen Zentren zu lebendigen Kleinstädten nahe zu Grünräumen heraus: dicht gebaute Siedlungen mit attraktiven öffentlichen Räumen, gepflegten historischen Bauten und einer guten Verkehrserschliessung. Gleichzeitig müssten umliegende kleine Dörfer auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur verzichten; verdichtetes Bauen wäre dort dafür nicht unbedingt nötig.
Link WSL-Bericht ‹Raumansprüche von Mensch und Natur› (PDF, 9 MB)