Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Möbeltradition, die nicht von gestern ist

Althergebrachtes in zeitgenössischer Interpretation findet in Form von Holzmöbeln grossen Anklang beim designbewussten Publikum. Das derzeitige Revival des Alpinen bietet dafür eine vielbeachtete Plattform.

Aus alt mach neu


Links: Eschen-Stuhl ‹Cresta› von Jörg Boner für Dadadum. Rechts: Arvenholz-Schrank ‹Spler› aus der Manufaktur von Ramon Zangger in Samedan.


Bilder Tonatiuh Ambrosetti, Lausanne/Designpreis Schweiz | Stefan Rohner, St. Gallen/Ramon Zangger, Samedan

 


Im urbanen Lifestyle ist zurzeit das Ursprüngliche und Authentische nicht nur in Küche und Keller höchst angesagt, sondern ebenso in der Wohnumgebung. In dieser Vorliebe verbinden sich im Zuge einer Gegenströmung zur Globalisierung, die mit einer schleichenden internationalen Uniformierung in vielen Lebensbereichen einhergeht, eine neue Wertschätzung für die Region, für die Schweiz und ihre Geschichte, für altes Handwerk mit althergebrachten Materialien, für die Wurzeln der Dinge, die uns umgeben, und dabei insbesondere auch für alles Alpine als Urgrund des Schweizer Selbstverständnisses.

 

Das kann zum Teil furchtbar langweilig sein – wenn es sich etwa als aufgesetzter ‹Alpine Chic› in Hotels und Gaststätten in einer Masse von Altholz oder auch nur Altholzimitaten erschöpft, die nur dem einen Zweck dienen: Klischees zu bedienen. Es kann aber auch überaus spannend sein: Wenn Könner demselben Material Altholz, demselben althergebrachten Material Holz oder auch vermeintlich abgelebten Traditionen der Anwendung dieses Werkstoffes ein völlig neues Gesicht geben.

 

Designpreis für eine Stabelle

 

Als im vergangenen November ein Holzstuhl mit vier schrägen Beinen, vom Typus her eine Stabelle, vom ‹Designpreis Schweiz› als eines der am besten gestalteten Produkte des Jahrgangs 2013/14 aufs Podest gehoben wurde, dürften manch einem die Augen dafür aufgegangen sein. Der Stuhl ‹Cresta›, aus Esche gefertigt, ist ein Entwurf des bekannten Zürcher Produktdesigners Jörg Boner für das noch junge Westschweizer Label Dadadum. Dessen Gründer Demian Conrad will mit seiner Kollektion das gestalterische Erbe der Schweiz aus den dreissiger bis sechziger Jahren in puren Materialien für die Gegenwart erschliessen und es in modernistisch-reduzierter Weise weiterentwickeln.

 

‹Cresta›, fasste die Jury des letzten Designpreises zusammen, verschmelze die schlichte Robustheit eines traditionellen alpenländischen Holzstuhls mit moderner Holztechnik und einer zeitgenössischen Ästhetik. Und in der Tat steckt einiges in diesem auf den ersten Blick so einfachen, aber kraftvoll anmutenden, sichtlich auf Beständigkeit angelegten Möbelstück, das nach Überzeugung seiner Macher ebenso gut in einem Mailänder Speisesaal stehen kann wie in einer Alphütte und zu Hause eine ebenso gute Figur macht wie im öffentlichen Raum.

 

Überraschender Sitzkomfort

 

Kurz gesagt, bringt der Stuhl ‹Cresta› das Kunststück fertig, Massivholz in ein Sitzmöbel zu verwandeln, auf dem man sich nicht wie auf einer Kirchenbank fühlt, sondern ergonomisch gut aufgehoben. Dass der Stuhl so bequem ist, verdankt sich seiner Machart: Die zunächst wie aus einem Guss wirkende Schale entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Ensemble aus drei Teilen, wobei Sitzfläche und Lehne über eine ornamental wirkende Keilzinkung – ein technischer Reflex der traditionellen Schnitzverzierungen an diesem Möbeltyp – mit einem massiven, gekrümmten Mittelstück verbunden sind.

 

Dieses Mittelstück ist Dreh- und Angelpunkt der ganzen Konstruktion. Darin eingelassen sind auch alle vier Beine. Sie sind so angebracht, dass Lehne, Sitzfläche und Beine von der Seite gesehen ein K bilden – die zur Herstellung angewendete CNC-Fräsung, also eine elektronisch gesteuerte maschinelle Produktion, macht die ganze Form des Stuhls möglich.

 

Der High-Tech-Manufakturstuhl ‹Cresta› – mittlerweile übrigens bei Teo Jakob zu haben – ist ein gelungenes Beispiel für das Potential, das in der ebenso lustvollen wie gekonnten Mariage von Tradition und Moderne im Material Holz liegt. Designer Jörg Boner, selbst ursprünglich gelernter Schreiner, lobt Japan als Vorbild in dieser Hinsicht. ‹Ich würde mir wünschen, dass es auch in der Schweiz mehr solche Begegnungen zwischen Alt und Neu gäbe›, sinniert der Gestalter im Gespräch. ‹Die derzeitige Wiederentdeckung des Alpinen bietet dafür eine ausgezeichnete Gelegenheit.›

 

Heimat ohne Kitsch

 

Einer, der das formale Repertoire der Alpen seit zwanzig Jahren in Möbelstücke umsetzt, die so autochthon wie weltläufig, so vertraut traditionell wie eindeutig zeitgenössisch wirken, ist der Engadiner Schreiner Ramon Zangger. Seine Möbelkollektion, in der er die vor Ort heimischen Baumarten Arve und Lärche verarbeitet, ergänzt als wesentliches zweites Standbein des Zehnpersonenbetriebs in Samedan dessen Kerngeschäft mit hochklassigen Innenausbauten, das weit über die Region und selbst über die Landesgrenzen hinausgeht.

 

‹Ich versuche zu zeigen, wie regionale Kultur neu belebt werden kann, ohne ins Kitschige zu fallen›, sagt Zangger. Seine Möbel verortet er konsequent in der überlieferten Formenwelt des Bündnerlandes, die er jedoch durch klare Signale der Moderne als zur Gegenwart gehörig markiert. So tragen seine Schränke zwar auch Verzierungen, etwa Rosetten, jedoch sind diese nicht geschnitzt, sondern entstehen zum Beispiel aus einem Lochmuster in CNC-Fertigung.

 

Zanggers liebstes Material ist dabei die Arve. Er sieht sie als Verkörperung der Engadiner Landschaft: ‹Der knorrige Baum ist unglaublich widerstandsfähig und trotzt auch dem härtesten Winter bis weit hinauf. Sein Holz aber ist weich und nachgiebig; es passt sich der Hand und dem Werkzeug an, das etwas daraus schafft. Es muss nicht durch Widerstand beweisen, dass es Charakter hat. Ein Möbel daraus ist wie ein Blick ins einzigartig klare Engadiner Licht, das die Sinne für das Wesen der Dinge schärft.›

 

Einladung zur Eigenständigkeit

 

‹Ich will mit meinen Möbeln Heimat für die Entwurzelten der Globalisierung in den Städten schaffen, aber ohne Heimattümelei›, sagt Zangger, der selber in einer Grossstadt im Ausland aufgewachsen ist und 1984 als Auswärtiger den Schreinereibetrieb seines Schwiegervaters im Oberengadin übernommen hat. ‹Dafür sollen meine handwerklich geprägten Möbel zu ihrer Identität stehen, die in der Herkunft aus rauher Bergwelt gründet, aber ohne dabei langweilig-biedere Rustikalität zu verströmen›, erklärt Zangger seinen gedanklichen Ansatz.

 

Das scheint ihm zu gelingen. Ramon Zanggers Bauernschränke, aber auch andere Möbel aus seiner Manufaktur finden ihre Kunden ohne Vertrieb über ein Händlernetz – allein über Auftritte an Ausstellungen und Designmessen in den Städten. Sie kommen dort wohl gerade deshalb so gut an, weil sie nicht einfach eine aus dem Ländlich-Gestrigen konstruierte Gegenwelt zum Mass aller Dinge erklären, sondern mit ihrer charaktervollen Erscheinung schlicht dazu auffordern, die für sich selber passende Schrittlänge im oft atemlosen Rhythmus der Urbanität zu suchen. Vielleicht macht diese subtile Einladung zum Bergler-Eigensinn den Kern dessen aus, weshalb Zürcher wie Basler gern einen Zangger-Schrank bei sich stehen haben.

 

Links www.dadadum.com | www.ramonzangger.ch