‹Globe Theatre› in London
All the world’s a stage,
And all the men and women merely players;
They have their exits and their entrances,
And one man in his time plays many parts.
William Shakespeare, As You Like It, Act II, Scene VII
‹Ladies and gentlemen, this is all English oak›, sagt der Führer der Touristengruppe und grinst breit in die Runde, während er auf einen der starken Balken im Globe Theatre klopft. Seit 1997 gibt es in London, auf der Südseite der Themse, wieder ein Rundtheater wie zu Shakespeares Zeiten. Dieses hat für moderne Begriffe nicht nur eine sehr aussergewöhnliche Form, sondern ist auch anders als die meisten heutigen Theater ein Holzbau. Und dieser ist so konstruiert, dass man ihn ohne weiteres zerlegen und anderswo wieder aufbauen könnte, wenn man wollte – genau wie zu Zeiten des grossen Dichters. Kein einziger Nagel wurde für die Holzkonstruktion verwendet; Zapfen halten sie zusammen.
Theater findet hier unter freiem Himmel statt. So kommt das Licht für die Aufführungen von der Sonne und ist erst noch gratis. Bienenwachskerzen waren vor 400 Jahren ein Luxus; eine einzige Aufführung in einem geschlossenen Saal hätte 200 Stück davon erfordert, was sich kein Theater leisten konnte. Die Ausdünstungen billiger Talglichter hätten die Zuschauer dagegen in Atemnot gebracht.
So stehen die Theatergänger in der billigsten Kategorie im Globe ebenerdig dichtgedrängt im Freien um die vorspringende Bühne oder sitzen ringsum zu etwas höherem Tarif auf Holzbänken in gedeckten Galerien über mehrere Stockwerke übereinander. Regnet, hagelt oder schneit es, so ist es den Zuschauern im Rund ausdrücklich untersagt, einen Schirm zu zücken – wer drin ist, muss das Wetter ertragen, wie es ist. Die Aufführungen sind trotz dieses Härtetests immer komplett ausverkauft.
Themse-Südufer: vom hässlichen Entlein zum Schwan
Am Südufer der Themse drängen sich heute die Londoner Touristen. Nicht nur das Globe Theatre lockt sie in Scharen, sondern die ganze grosszügig gestaltete Promenade mit Restaurants und Cafés, aber auch mit vielen weiteren kulturellen Attraktionen, deren bekannteste sicher die Tate Modern in einem umgebauten und erweiterten Kraftwerk ist.
Das bauliche Erbe, in dem heute Kultur zur Blüte kommt, ist typisch für die South Bank: Lange war sie ein unattraktiver Ort, dessen Begehung man sich als Reisender ersparte. Man traf dort nur auf die rauchenden Schlote der Power Stations, in denen Tag und Nacht Kohle und Schweröl verfeuert wurden, um den Energiehunger der Metropole zu stillen, auf Brauereien und Industrie; die Strassenzüge dahinter hatten nichts vom Glanz des Nordufers, wo man das touristische Pflichtprogramm absolvierte.
Die Distanzierung vom Südufer der Themse reicht weit zurück: Das Land auf dieser Seite gehörte ursprünglich der katholischen Kirche. Nach der Reformation wurde es zum Niemandsland, in dem sich alles niederliess, was die Stadt London nicht gern sah: Prostitution und Glücksspiel, Wirtshäuser, Bärenkämpfe und – Theater. Nicht nur das Globe Theatre fand dort sein Publikum; es gab in der Renaissancezeit eine Vielzahl von Spielstätten, die Bühnenkunst boten. Allen aber war eines gemeinsam: Die Theaterkultur blühte im elisabethanischen England in der Halbwelt und stand im Ruch des Lasters – und fand doch Mäzene und Zuspruch bis in höchste Kreise.
Jahrhundertelang in Vergessenheit geraten
Das erste Globe Theatre war 1599 entstanden. Es gehörte einer Schauspieltruppe, zu der auch Shakespeare zählte. Leider war diesem Bau kein langes Leben beschieden: Eine Kanone, die man bei der Aufführung eines historischen Stücks abfeuerte, setzte 1613 das Dach in Brand, worauf das ganze Theater ein Raub der Flammen wurde. Unverdrossen baute man es jedoch sogleich wieder auf – diesmal mit einem ziegelgedeckten Dach.
Mehr als hundert Jahre später kam dann aber doch das definitive Aus für das Globe – und für alle anderen Theater. Nicht das Feuer brachte das Ende, sondern der Zeitgeist: Theateraufführungen aller Art wurden 1642 von den Puritanern verboten; sie wollten keinerlei öffentliche Vergnügungen mehr dulden. Das Renaissancetheater war damit nach einer unglaublichen Blüte der Kunstgattung Geschichte. Das Globe Theatre wurde 1644 abgerissen; der Standort wurde später überbaut, und das Globe geriet in Vergessenheit.
Geschenk für London und die Welt
Die Wiederauferstehung des Globe Theatre an der Londoner South Bank verdankt sich der Initiative des amerikanischen Schauspielers Sam Wanamaker, der es nicht fassen konnte, dass nicht nur das ursprüngliche Theater aus der Shakespearezeit nicht mehr existierte, sondern dass bis Ende der achtziger Jahre, als Fundamentreste ans Licht kamen, sogar niemand mehr zu sagen wusste, wo der Bau genau gestanden hatte. Über Jahrzehnte hinweg setzte er alles daran, seinen Traum in die Realität umzusetzen: der Welt Shakespeares Theater neu zu schenken.
Aufbauen konnte man es zwar nicht mehr am historischen Standort, den dieser ist längst überbaut. Doch das neue Globe Theatre, das 1997 eröffnet wurde und mithin nächstes Jahr sein Zwanzig-Jahr-Jubiläum begehen kann, ist doch nur etwa 200 m davon entfernt Wirklichkeit geworden. Der Besucherstrom, der es heute Tag für Tag erfüllt, zeigt mehr als deutlich, dass London für dieses Jahrhundertgeschenk dankbar ist. Dass sich im Globe Gäste aus aller Herren Ländern einfinden, zeigt darüber hinaus, dass Sam Wanamaker nicht nur der Hauptstadt Englands, sondern der ganzen Welt etwas zurückgegeben hat.