Holzbalkendecken in Mauerwerksbauten unter Erdbeben

Bestehende Mauerwerksbauten mit Holzbalkendecken weisen ein ungünstiges Erdbebenverhalten auf, da Holzbalkendecken in ihrer Ebene flexibel und in den Wänden schlecht verankert sind. Mit statisch-zyklischen Versuchen soll das Kraft-Verformungsverhalten der Balken-Wand-Verbindungen experimentell bestimmt werden. Darauf aufbauend werden Berechnungsmodelle entwickelt, um das Erdbebenverhalten bestehender und mit Holzwerkstoffplatten ertüchtigter Decken und deren Balken-Wand-Verbindungen zu erfassen.
In den Eurocodes und in den SIA-Tragwerksnormen fehlen Regeln für die Erdbebenüberprüfung und -ertüchtigung von Mauerwerksgebäuden mit Holzbalkendecken. Eine übliche Ertüchtigungsmethode, die auch in der Schweiz angewendet wird, ist daher, die Holzbalkendecken durch Stahlbetondecken zu ersetzen. Auf eine Ertüchtigung der Decke mit Holz wird meist mangels geeigneter Bemessungsgrundlagen verzichtet.
Dies ist jedoch aus Kostengründen und vom Gesichtspunkt des schonenden Umgangs mit der bestehenden Bausubstanz unbefriedigend. Besonders gravierend wirkt sich dies bei Gebäuden unter Denkmalschutz aus. Versuche zum Erdbeben-verhalten typischer Holzbalken-Wand-Verbindungen in Schweizer Bestandesbauten fehlen international, da solche nur bei der in der Schweiz vorherrschenden niedrigen bis mittleren Seismizität relevant sind.
International sind Erdbebenversuche auf die viel stärkere Erdbebenanregung in hochseimischen Gebieten ausgerichtet, wo Holzbalken-Wandverbindungen ohne mechanische Verankerungen a priori ungenügend sind. Versuche an Holzbalkendecken wurden international bereits von verschiedenen Forschungsgruppen durchgeführt. Das Projekt schliesst die Lücken bei den Bemessungsgrundlagen basierend auf eigenen Balken-Wand-Versuchen, veröffentlichten Holzbalkendeckenversuchen und eigenen analytischen Modellierungen.
Vorgehen in vier Etappen
Das Projekt am Earthquake Engineering and Structural Dynamics Laboratory (EESD) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) erstreckt sich über vier Etappen während zwei Jahren. In der ersten, aktuell laufenden Etappe steht die Durchführung statisch-zyklischer Versuche zur Bestimmung der Kraft-Verformungscharakteristiken von Balken-Wand-Verbindungen im Zentrum.
Die zweite Etappe konzentriert sich auf die Entwicklung einer Tragwerksmodellierung zur Erfassung der Kraft-Verformungsbeziehung bestehender und verstärkter Decken aufgrund der Geometrie und der Eigenschaften der Balken-, Platten- und Verbindungselemente. In einer dritten Etappe folgen zyklische Versuche zur Bestimmung der Kraftübertragung von Decke zu Wand zuerst unverstärkt und anschliessend verstärkt mit Ankern sowie Entwicklung eines mechanischen Modells zur Vorhersage der Kraft-Verformungskurve von vestärkten und unverstärkten Verbindungen auf der Grundlage der bis dahin vorliegenden Ergebnisse.
Die Erkenntnisse und die Modelle zum Kraft-Verformungsverhalten der Holzbalkendecken und der Verbindungen Balken-Wand werden in der vierten Etappe verwendet, um das Erdbebenverhalten von Beispielgebäuden mit Holzbalkendecken mit und ohne Ertüchtigungsmassnahmen zu simulieren. Die Beispielgebäude werden aus den wesentlichen drei Epochen von Bestandesbauten mit Holzbalkendecken ausgewählt: mittelalterliche Gebäude vom 9.–15. Jahrhundert, repräsentative Gebäude aus dem 15.–19. Jahrhundert und Bauten aus der Neuzeit, insbesondere Schulbauten.
Ergebnisvermittlung in den ‹Basler Erdbebenkursen›
Die Erkenntnisse werden mit Fachartikeln der Forscher und einem Lignatec der Lignum vermittelt sowie in den Weiterbildungsteil ‹Basler Erdbebenkurse› des laufenden mehrjährigen Forschungs- und Weiterbildungsprojektes ‹Erdbebenüberprüfung von Natursteinmauerwerksgebäuden in Basel› einfliessen. Die ‹Basler Erdbebenkurse› starteten im Herbst 2015 in Basel und werden verteilt über die vierjährige Dauer des Weiterbildungs- und Forschungsprojektes ‹Erdbebenüberprüfung von Natursteinmauerwerksgebäuden in Basel› durchgeführt. Sie sind auf die Überprüfung und Ertüchtigung von Natursteinmauerwerksgebäuden fokussiert.
Am 11. September findet ein Kurstag zum Erdbebenverhalten in der Wandebene statt (Themen: Global Analysis: Pushover Analysis and Analysis of Buildings with Flexible Slabs; Global Analysis of Medieval Building Conglomerations; Timber Slabs and Slab-Wall Connections; Verhalten von Natursteinmauerwerkswänden in der Wandebene; einfache Berechnungsverfahren für erste Abschätzungen). Wahlweise am 31. August, 8. September oder 12. September wird ein Kurstag zum Erdbebenverhalten quer zur Wandebene angeboten (Themen: Rütteltischversuch an einem Basler Natursteinmauerwerksgebäude; Verhalten quer zur Wandebene: Versagensmechanismen, kraft- und verformungsbasierte Nachweise; In-Situ-Versuche am Natursteinmauerwerk; Plausibilitätskontrolle von Finite-Elemente-Berechnungen).
An einem Kurstag im September 2018 zum Thema Erdbebenertüchtigung werden auch die Ergebnisse aus dem neu angelaufenen Forschungsprojekt ‹Überprüfung und Ertüchtigung von Holzbalkendecken in Bestandesbauten bezüglich Erdbeben› präsentiert (Themen: Verstärkungsmassnahmen von Riegeln, Wänden und Decken; Ertüchtigungsmassnahmen, die nicht auf Verstärkung beruhen; Berechnung und Bemessung von Ertüchtigungsmassnahmen; Massnahmen im Sinne des Kulturgüterschutzes). Eine abschliessende Tagung ist für 2019 geplant. Detaillierte Informationen zu den Basler Erdbebenkursen finden sich im Web unter www.sgeb.ch/veranstaltungen.html sowie www.sgeb.ch/dach_mitteilungsblatt/DACH_Mitteilungsblatt_16_4.pdf.
Ergebnisvermittelung in der Lignum-Reihe ‹Lignatec›
Im Anschluss an das angelaufene Projekt ‹Überprüfung und Ertüchtigung von Holzbalkendecken in Bestandesbauten bezüglich Erdbeben› finden die Projektergebnisse 2019 in Form einer Ausgabe zum Thema ‹Ertüchtigung von Holzbalkendecken› Eingang in die Reihe technischer Holzinformationen ‹Lignatec› der Lignum. Im Themengebiet Tragwerkserhaltung sind weitere Lignatec-Ausgaben in Bearbeitung. Als erstes wird dazu das Lignatec ‹Erhaltung von Holztragwerken› Ende 2017 erscheinen, worin im wesentlichen auf die Überprüfung, die Massnahmeplanung – unter anderem zur Erdbebenertüchtigung bei bestehenden Bauten – sowie auf bauliche Erhaltungsmassnahmen eingegangen wird.
Autoren des vorliegenden Beitrags
Prof. Dr. Katrin Beyer, Earthquake Engineering and Structural Dynamics Laboratory (EESD), ENAC, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), 1015 Lausanne
Dr. João Pacheco de Almeida, Earthquake Engineering and Structural Dynamics Laboratory (EESD), ENAC, Ecole Polytechni-que Fédérale de Lausanne (EPFL), 1015 Lausanne
Roland Brunner, Lignum, 8008 Zürich
Dr. sc. techn. Thomas Wenk, Gehrenholz 2h, 8055 Zürich
Link Forschungsprojekt ‹Erdbebenüberprüfung von Natursteinmauerwerksgebäuden in Basel›