Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Baut auch die Schweiz bald Hochhäuser aus Holz?

Wien wird demnächst einen Holz-Hybridbau mit 24 Geschossen bekommen. In Norwegen ist ein Holz-Wohnhaus mit 14 Geschossen im Bau. In Mailand stehen vier neungeschossige Wohntürme aus Holz. Wann wird wohl hierzulande das erste Hochhaus-Projekt mit Holz lanciert? Diese Frage stellt Lignum-Präsidentin Sylvia Flückiger im ‹Swissbau Focus Blog›.

 

‹Bosco Verticale› in Mailand

Nicht mit Holz gebaut, aber mit Wald: Der Mailänder ‹Bosco Verticale› von Stefano Boeri schafft eine spannende Symbiose von Architektur und Natur. Die beiden begrünten Wohnhochhäuser basieren auf einfachen rechteckigen Grundrissen und sind mit 19 bzw. 27 Stockwerken (80 m und 112 m) unterschiedlich hoch. Jede der 113 Wohnungen hat Zugang zu mindestens einer Terrasse, die einem Garten oder einem kleinen Waldstück gleicht: Mehrere hundert Bäume, durchmischt mit Stauden, Sträuchern und Bodendeckern, wachsen an den Fassaden. Dafür hat das Projekt den Internationalen Hochhauspreis 2014 erhalten.

Bild © Paolo Rosselli, Mailand | IHP

 

 

Das Hochhaus ist beliebt, um Zeichen zu setzen. Zürich demonstriert mit seinem Prime Tower den Willen zu überzwinglianischer Grösse, Basel macht mit dem Roche Tower klar, dass Bartli den Most immer noch am Rheinknie holt, und das Bündner Bergdorf Vals ist, wie wir seit vergangener Woche wissen, vielleicht dereinst Standort einer Hotel-Nadel, die nicht nur den Eiffelturm höhenmässig locker toppt, sondern auch eine neue Ära des Bergtourismus im obersten Segment einläutet, welche das zunehmend bedrängte Zweitwohnungsgeschäft ablöst.

 

Das erklärte Ziel der Valser Initianten: Mit einem 381 m hohen Wahrzeichen endlich wieder richtig satte Wertschöpfung in die Gegend holen, die das ETH Studio Basel vor zehn Jahren als ‹alpine Brache› aufs Abstellgleis geschoben hat. Dafür kann die gesuchte Klientel auch gern mit dem Helikopter kommen. Vielleicht ist das irreal oder gar absurd, aber eines steht fest: Der geplante Valser Turm ist eine furiose Kampfansage an die wirtschaftliche Disqualifikation des Berggebiets – er blitzt wie ein in die Erde gerammter Zweihänder aus dem Gebiet, das die Auguren von 2005 als weitgehend hoffnungslos abgetan haben.

 

Die ‹alpine Brache› lebt

 

Die Zeiten haben sich geändert. Die Personenfreizügigkeit, vor zehn Jahren bei der Präsentation der Studie ‹Die Schweiz – ein städtebauliches Portrait› als Signatur einer neu anbrechenden Epoche der Metropolitanregionen gefeiert, steht heute nach einem Volksentscheid wieder zur Disposition – und der Alpenbogen, in der Perspektive der urbanistischen Vordenker von vor zehn Jahren bis auf wenige Leuchtpunkte wie St. Moritz, Davos, Zermatt, Gstaad, Wengen oder Grindelwald gleichsam dem Tode schon anheimgegeben, gezeichnet von wirtschaftlicher und demografischer Auszehrung trotz millionenschwerer Subventionen, erweist sich als erstaunlich robust.

 

Vielleicht steckt ja doch mehr Potential in der ‹Zentralbrache Gotthard›, als man vor zehn Jahren vermutete? Remo Stoffel und Pius Truffer, die beiden Tabubrecher von Vals, erinnern jedenfalls an Investoren wie Samih Sawiris, der es wagte, mitten in der ‹Brache› ein neues Fünfstern-Resort aus dem Boden zu stampfen, das von der internationalen Crème de  la Crème lebt. Sein Tun wurde jahrelang mit blanker Skepsis verfolgt: Dort? Dort investieren? Aber wozu? Viele warteten fast darauf, dass sich der Wohltäter von Andermatt als Scharlatan entpuppen würde. Oder dass der Investor seinen Irrtum erkennte und sich zurückzöge, das Urserental verhüllten Hauptes dem Jammer überliesse.

 

Bodenhaftung bevorzugt

 

In Andermatt ist nichts dergleichen geschehen oder in Sicht. Doch die höchst gemischten Reaktionen auf den jüngst bekanntgewordenen Turmbau zu Vals zeigen wieder einmal: Der Vorstoss in die Wolken wird in der Schweiz meist mit Argwohn verfolgt – das Visionäre ist dem helvetischen, auf Ausgleich und Bescheidung bedachten Wesen zunächst einmal eher suspekt, und das nicht nur im ländlichen Raum. Wir haben es fast schon vergessen, aber: auch der Basler Roche Tower war (und ist) umstritten, und ebenso wurde der Zürcher Prime Tower vor seiner Realisierung (und danach) mit ambivalenten Gefühlen beäugt: Ein Hochhaus? Schon toll. Aber passt das denn da hin?

 

Man erinnert sich an den Befund der Credit Suisse in ihrer Studie zum Schweizer Immobilienmarkt 2013: 90% aller Wohnungen in der Schweiz entfallen auf die Geschosse 0 bis 3. Die Wohnungen ab dem 4. Stock machen nur 10% aus. Sogar in der Stadt Zürich liegen nur 14% aller Wohnungen im 4. Stock oder darüber. Das hohe Bauen hat es bei uns schwer, Fürsprecher zu finden. Um so mehr, als sich der ablehnende Reflex nicht bloss auf physisch Überragendes, sondern auf alles bezieht, was das Althergebrachte sprengt. Aussergewöhnliche Höhe ist bloss einer der festen Gründe, die Ampel im Kopf automatisch auf Orange zu stellen.

 

Europäische Metropolen wie Frankfurt, Paris oder London, aber auch Asien oder die USA ticken da bekanntlich anders: Die Baugeschichte amerikanischer Grossstädte wie New York oder Chicago ist ein einziges Rennen um Höhenrekorde. Die Skyline des Big Apple ist unter diesem Wettlauf zur international bekannten Marke geworden. Den Vogel hat indessen 2010 Dubai mit seinem Burj Khalifa und dessen schier unglaublichen 828 m Höhe abgeschossen. Doch die Konkurrenz schläft nicht: Mit dem Kingdom Tower in Djidda will Saudiarabien den vielbestaunten bisherigen Rekordhalter ab 2019 in den Schatten stellen. Die Gesamthöhe des neuen Turms soll einen Kilometer übertreffen.

 

Grösse ist die halbe Miete

 

Man mag es als Grössenwahn und Verrücktheit abtun, wenn solche Projekte gebaut werden – aber sie bewegen die Gemüter, ehe sie Realität werden, und finden ihr Publikum, wenn sie gebaut sind. Warum eigentlich? Woher kommt die Anziehungskraft, die reale wie fiktionale, geschichtliche wie moderne Turmbauten ausüben? Ökonomische Gründe sind bei den architektonischen Himmelsstürmern weitaus nicht immer evident, im Gegenteil. Ein Wolkenkratzer rentiert nicht einfach via Multiplikation von Grundfläche und Stockwerkzahl.

 

Es scheint, als stünde tatsächlich der Repräsentationswert weit im Vordergrund: Man will mit Stein und Beton, mit Stahl und Glas Botschafter kreieren. Bauherren, Städte, Länder, aber auch Bauweisen stehen im Wettbewerb um die Anerkennung ihrer Leistungsfähigkeit, wollen ihre Kraft beweisen, Werke entstehen zu lassen, die beeindruckender sind als anderswo. Und so zieht sich die Signatur des Ostentativen vom Turmbau zu Babel über die Errichtung hoher Burgen und Schlösser im Mittelalter bis zu den baulichen Wahrzeichen der Neuzeit. 

 

Holz strebt mit nach oben

 

Es erstaunt nach all dem nicht, dass der Drang in die Höhe auch beim Bauen mit Holz unübersehbar ist. In den USA werden derzeit Projekte für Holz-Hochhäuser per Wettbewerb gesucht. Das Chicagoer Architekturbüro Skidmore, Owings and Merrill, kurz SOM, das für Hochhaus-Ikonen auf der ganzen Welt zeichnet – so etwa auch für den rekordhohen Burj Khalifa in Dubai – hat vor zwei Jahren mit Unterstützung des Softwood Lumber Board in einem ‹Timber Tower Research Project› geprüft, ob ein 400 Fuss (rund  120 m) hohes Gebäude mit 42 Geschossen mit Holz machbar ist – und sagte ja.

 

In Australien hat das ‹Forté› als zehngeschossiger Holz-Wohnbau 2012 für Aufsehen gesorgt. Der kanadische Architekt Michael Green würde in Vancouver gern 30 Geschosse hoch mit Holz bauen. Der nachwachsende Rohstoff, so der visionäre Entwerfer, sei viel zu lange als Baumaterial vernachlässigt worden. Mit den heute verfügbaren Produkten für den Holzbau sieht er die Zeit gekommen, im urbanen Bauen damit aufs Ganze zu gehen. Sein Projekt ‹Tall Wood› packt den Stier bei den Hörnern.

 

Wien will nach ganz vorn

 

Europa steht nicht abseits. Die Schweden tüfteln noch an einem dreizehnstöckigen ‹Cederhuset›, während die Norweger mit ihrem ‹Treet› derzeit schon vierzehn Geschosse hoch bauen. Mailand hat seine vier neungeschossigen Holztürme in der ‹Via Cenni›, London sein ebenfalls neunstöckiges ‹Murray Grove›. Neuste Meldung aus dem Alten Kontinent ist, dass in Wien das Holz-Hochhaus ‹HoHo› mit 24 Geschossen und 84 m Gesamthöhe entstehen soll. Als Hybridbau zwar, doch mit drei Vierteln Holzanteil. Damit würde sich Europa an die Weltspitze setzen.

 

Und die Schweiz? Unter den seit Jahresbeginn geltenden neuen Brandschutzvorschriften kann Holz in der Schweiz in allen Gebäudekategorien und Nutzungen angewendet werden. Unter bestimmten Voraussetzungen sind sogar Hochhäuser mit Holz möglich. Wird unser Land vielleicht schon bald im Konzert der Holz-Hochhausprojekte mitspielen? Nur einmal als Gedankenexperiment: Wie würde der angedachte Valser Turm als Holz-Projekt wirken? Was wäre als Holz(hybrid)bau seine Botschaft für den Ort, die Schweiz und die Welt – und wie hoch dürfte er ausfallen, um sie glaubwürdig zu transportieren?

 

Diskutieren Sie mit zum Thema ‹Baut die Schweiz bald Hochhäuser aus Holz?› im Swissbau Focus Blog.

 


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