Bauen für Kinder: Holz macht Schule

Kindergarten Räsch in Obfelden ZH (Bauherrschaft: Primarschule Obfelden; Architektur: Melk Nigg Architects, Zug; Landschaftsarchitektur: Hager Partner AG, Zürich; Holzbauingenieur: Lauber Ingenieure AG, Luzern; Holzbau: PM Mangold Holzbau AG, Ormalingen).
Bilder Melk Nigg Architects, Zug
Der Kindergarten: das ist der Ort, an dem Kinder in der Regel das Leben in der Gemeinschaft, die Rolle im sozialen Verbund einüben. Was brauchen sie an diesem entscheidenden Punkt ihrer sozialen Biografie? Zweifellos vor allem menschlich und pädagogisch fähige Leitfiguren, sprich gute Kindergärtnerinnen und Kindergärtner. Daneben aber auch einen warmen Empfang – eine Atmosphäre, die dem Alter angemessen ist, in der sich das Vorschulkind aufgehoben fühlt und die es ihm ermöglicht, den Schritt ins emotionale Neuland positiv zu besetzen.
Woran man eine solche Qualität im Baulichen festmachen kann, darüber lässt sich natürlich trefflich streiten. Und doch scheint eine Entscheidung immer wieder nahe zu liegen, wenn es um den Bau eines neuen Kindergartens geht: die Entscheidung für Holz. Der spontane Eindruck, dass neue Kindergärten sehr oft im Holzbau entstehen, wird von der Statistik bestätigt.
Holzbau hat bei Kindergärten die Nase vorn
‹Rund ein Viertel der Projekte für Neubauten im Marktsegment Unterricht und Bildung wurden im Jahr 2017 mit einer Tragkonstruktion in Holz bewilligt›, weiss Birgit Neubauer-Letsch, Professorin für Marketing und Produktentwicklung an der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau (BFH) in Biel und Leiterin der Forschungsgruppe Marktforschung und Management. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt aller bewilligten Neubauprojekte in der Schweiz.
Noch deutlicher wird die Sachlage, wenn man Kindergärten und Kinderhorte gesondert betrachtet. Jährlich werden rund 100 neue Gebäude dieser Kategorie bewilligt. Auf Basis der Baubewilligungen hat Projektleiter Simon Meier im Kompetenzbereich Marktforschung und Management der BFH analysiert, dass rund 40% dieser Gebäude mit einer Tragkonstruktion in Holz geplant werden und der gleiche Anteil mit Fassaden ganz oder teilweise in Holz. ‹Die tatsächlich realisierte Anzahl könnte sogar noch höher liegen, da zum Zeitpunkt der Baubewilligung die Materialentscheidung im Fassadenbereich noch nicht für alle Projekte feststeht›, erklärt Meier.
Was Kinder brauchen, um zu wachsen
Dass sich Gemeinden so oft für den nachwachsenden Rohstoff Holz entscheiden, wenn es um neue Kindergärten geht, erstaunt Urs Maurer nicht. Der Zürcher Architekt und Baubiologe, frühere Steiner-Schule-Lehrer und lebenslange Querdenker war nach seinem Studium, das er mit einer Dissertation in den Niederlanden abschloss, beruflich vor allem als Raum- und Stadtplaner tätig. Ganz besonders aber lag und liegt ihm die Schulraumplanung am Herzen. Mit seinem ‹Büro für SchulRaum & BauPlanung› hat er fast zehn Jahre lang Gemeinden beraten, bevor er 2009 das ‹Netzwerk Bildung und Architektur› gründete.
‹Kinder von etwa drei bis sieben Jahren entwickeln sich im elementaren Umgang mit der Natur. Darum gibt es für dieses Alter im Grunde kein besseres Konzept als den Waldkindergarten›, zeigt sich Maurer überzeugt. Wenn es aber ein fester Bau sein müsse, dann am besten einer aus Holz: ‹Kinder mögen Holz in allen Varianten der baulichen Verwendung.›
Raum für elementare Erfahrungen
Denn, so Maurer, jeder Baum sei ein aus kindlicher Perspektive unmittelbar verständliches Sinnbild des Werdens und Vergehens. Wärme, Licht und Wasser lassen ihn aus der Erde keimen; er wird grösser und grösser, altert, stürzt und zerfällt – oder er wird gefällt, sein Holz wird zum Haus, und der Ursprung des Materials bleibt in Jahrringen und Ästen, im Geruch und der warmen Haptik lebendig.
Das eben ist elementar. Elementar, so Maurer, sollten aber auch die Erfahrungen sein, welche die Bauten für Kinder in diesem Alter zuliessen. ‹Ein Kindergarten soll Urbilder wachrufen, als Hütte, Nest, Höhle, Zelt erlebbar sein – mit einer Vielzahl von Raumnischen für Begegnung und Rückzug, Bewegung und Gestaltung›, sagt Maurer. Wesentlich sei auch die Einbettung in einen grosszügigen und naturnahen Aussenraum.
Insgesamt ist das ein Plädoyer für einen ganzheitlichen Ansatz, der davon ausgeht, dass Kinder, zugespitzt formuliert, nicht bloss Möbel brauchen, die auf ihre Körpergrösse abgestimmt sind, sondern sich in ihren Wahrnehmungen und Bedürfnissen vom Erwachsenen grundlegend unterscheiden und in ihrer spezifischen Weltwahrnehmung abgeholt werden müssen.
Bauen unter den Augen der Öffentlichkeit
Einer, der diese Haltung mit Überzeugung lebt, ist der Architekt Melk Nigg. Bauen für Kinder steht im Zentrum seines Schaffens. Er hat sein Büro 2012 nach Lehrjahren bei Herzog & de Meuron gegründet – auf der Basis des gewonnenen Wettbewerbs für den Kindergarten ‹Tägerstein› in Affoltern am Albis. Beim Prix Lignum 2015 hat dieser Holzbau gleich eine Anerkennung geholt – ein stolzer Erfolg für ein Erstlingswerk.
Mittlerweile hat Melk Nigg bereits seinen dritten Holz-Kindergarten vollendet: den ‹Hasenberg› im zugerischen Steinhausen. Der Bau wurde Mitte September eingeweiht. Eine ‹wunderschöne Aufgabe› sei es, sagt Nigg, das Bauen für Kinder. ‹Einerseits vertieft sich das Verständnis der Bauaufgabe in der Wiederholung enorm; andererseits richten sich natürlich die Augen der Öffentlichkeit auf solche Bauten, und es macht einfach Freude, wenn sie gelingen.›
Am Beispiel des Kindergartens Räsch in Obfelden, seines zweiten Baus, erklärt er, wie er an die Aufgabe herangeht, einen Kindergarten zu planen: ‹Der Ort hat auch etwas zu sagen!› Der Bau in der Dorfmitte, zwischen der Kirche und einem Bach gelegen, blickt über eine weite Wiese an den Waldrand. Der Grundgedanke, den Kindern die Elemente der Natur zugänglich zu machen und sie zugleich zu schützen, führte zum Konzept eines grossen Daches mit weiter Auskragung und imposanten Wasserspeiern.
Ökologisch gebaut mit Holz der kurzen Wege
Flexibel, ästhetisch und nachhaltig – diese drei Qualitäten schreibt Nigg der Materialisierung seines Obfelder Kindergartens in Fichte, Lärche und Esche zu, welche aussen und innen die sichtbaren Oberflächen bilden. ‹Mit Holz bin ich für spezielle Formen viel freier›, sagt er. Das ist ihm als Gestalter wichtig. Der Architekt achtet bei allen seinen Kindergärten aber auch auf möglichst viel regionales Holz. Je näher der Wald stehe, aus dem das Holz komme, desto ökologischer sei dies ohne Frage.
In der Tat fällt die Grauenergie um so kleiner aus, je weniger Transportkilometer anfallen. Im übrigen sind die Gemeinden als Besteller von Kindergärten ja sehr oft auch Waldbesitzer. Setzen sie ihr eigenes Holz für ein Bauvorhaben ein, schlagen sie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie valorisieren das Gemeindeeigentum im Sinne des Steuerzahlers, sorgen mit der Ernte und Verarbeitung des Holzes in der Region für Wertschöpfung vor Ort und verfügen am Ende über einen nachhaltigen Bau für Generationen.
Die ersten beiden Kindergarten-Bauten von Melk Nigg in Affoltern und Obfelden haben für ihr Tragwerk eine Auszeichnung mit dem ‹Herkunftszeichen Schweizer Holz› erfahren – sie bescheinigt bei einem Bau je nach Kategorie der Auszeichnung, dass bei Fassade, Tragwerk oder Gesamtobjekt zum grössten Teil Holz aus Schweizer Wäldern im Spiel ist. Niggs dritter Holz-Kindergarten in Steinhausen hat diese Auszeichnung für das Gesamtobjekt erhalten. Das für das Gebäude verwendete Material lieferten 243 Bäume, die im nahegelegenen Steinhauser Wald gewachsen waren.
Den Ort mit allen Sinnen erleben
Doch zurück zu den speziellen Qualitäten des Obfelder Holz-Kindergartens. ‹Das Gebäude ermöglicht es dem Kind, die Umgebung buchstäblich mit allen Sinnen wahrzunehmen – mit Augen und Ohren, mit der Nase und den Händen›, erklärt Nigg. ‹Zugleich erlebt es auch Dimensionen, Proportionen und Perspektiven nach Massgabe seiner Wahrnehmung.›
Im Schutz des Daches, das 49 Holzstützen tragen, erfährt das Kind die überdeckte Veranda ebenso wie die Unterrichtsräume im Innern als grosse, verbundene Nischen. In der Gebäudemitte öffnet sich der Raum über zwei Geschosse; eine Wendeltreppe führt auf eine Galerie. Um das Gebäude wachsen Sträucher und Bäume; dazwischen gibt es Spielgeräte, Sitzklötze, eine Feuerschale und Weidenhütten.
Das Raumkonzept für den Kindergarten in Räsch ist gemeinsam mit den Kindergärtnerinnen entstanden – und diese seien vom Bau begeistert. ‹Er wird jetzt genau so gebraucht, wie er konzipiert worden ist›, sagt Nigg mit Befriedigung. ‹Und aus Sicht der Benutzerinnen und Benutzer stimmt alles – vom Raumklima bis zum Schallpegel im Innern.› Holzbau und Holz-Innenausbau tragen zu diesem Ergebnis einen schönen Teil bei.
Das ‹Holzbulletin› 126/2018 der Lignum stellt unter dem Titel ‹Bauen für Kinder› acht neue Kindergärten und Krippen in allen Landesteilen vor, die im Holzbau entstanden sind. Das Heft ist unter diesem Link kostenlos im Volltext nachzulesen. Gedruckte Exemplare sind hier bestellbar. Die technische Beratung der Lignum erteilt unter Tel. 044 267 47 83 von Montag bis Freitag jeweils morgens von 8–12 Uhr kostenlos Auskunft zu allen Fragen rund um Holz.