Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Elegant in die Kurve – mit Holz um die Ecke

Die Moderne schätzt die gerade Linie. Doch runde Formen halten immer wieder in überraschender Art dagegen – im Innen- wie im Aussenbereich. Holz und Holzwerkstoffe, zunächst vermeintlich unveränderlich gerader Stab oder ebene Platte, erweisen sich dabei als verblüffend geschmeidiges Material.

Oben links: Sitzbänke an der Tramhaltestelle Central in Zürich (Bauherrschaft: Stadt Zürich und Verkehrsbetriebe Zürich VBZ; Architektur: S2 Stucky Schneebeli Architekten, Zürich; Konstruktion und Montage: Ruepp Schreinerei AG, Sarmenstorf; Bild: Dirk Podbielski). Oben rechts: Velounterstand, Niederrohrdorf (Bauherrschaft: Gemeinde Niederrohrdorf; Architektur: Fiechter & Salzmann Architekten, Zürich; Holzbau: Baur Holzbau, Wettswil; Bild: Lucas Peters). Unten links: Leuchte ‹Ora›, dukta-Birkensperrholz; Bild: dukta GmbH). Unten rechts: Arztpraxis, Zürich (Architektur: ADP Architekten, Zürich; Tresensockel und Leuchte dukta-Linar, Multiplex mit Eichenfurnier; Bild: dukta GmbH).

 

 

Der Säger mag krumm gewachsenes Holz nicht besonders. Denn daraus lassen sich weniger gut Bretter oder Balken schneiden als aus einem geraden Stamm. Doch natürlich gewachsene Krummhölzer waren über Jahrtausende für verschiedenste Zwecke sehr gefragt: für spezielle Werkzeugstiele oder Schlittenkufen, in der Wagnerei oder im Schiffbau. Und auch für das Flaggschiff der Schweizer Naturtonmusik: das Alphorn. Ursprünglich wurde für jedes Instrument ein passender, von Hanglage und Schneedruck vorgeformter Fichtenstamm gesucht.

 

Thonet als Wegbereiter

 

Holz lässt sich aber auch technisch dauerhaft krümmen, wenn das Lignin darin erweicht wird. Bereits sehr früh dürfte das Holzbiegen mittels Wärme Anwendung gefunden haben. Erst im 19. Jahrhundert wurde jedoch ein Verfahren entwickelt, mit dem Massivholz-Formteile in grossen Mengen erzeugt und anschliessend industriell weiterverarbeitet werden konnten: die Bugholz-Technik, welche auf der Kombination von Wasserdampf und Druck beruht.

 

Hinter dieser Erfindung steht ein allseits geläufiger Name: Michael Thonet. 1856 war es ihm nach vielen misslungenen Versuchen geglückt, Buchenstäbe in Dampföfen gleichsam zu ‹garen› und sie damit für die Verformung bereitzumachen. Eiserne Formen erledigten die Formgebung; ein Blechstreifen an der Holz-Aussenseite verhinderte, dass die Stäbe beim Biegen aufbrachen. Thonets industriell gefertigte Stühle haben in der Folge die k. u. k. Kaffeehauskultur geprägt. Der millionenfach gefertigte ‹Wiener Kaffeehausstuhl› ist das wohl erfolgreichste Produkt des deutsch-österreichischen Tischlermeisters.

 

Biegen ohne Brechen

 

Eine hiesige Firma, welche die altehrwürdige Tradition des Holzbiegens mit Erfolg und grosser Nachfrage in der Gegenwart praktiziert, ist das Holzbiegewerk Winkler in Felsenau, ganz im Norden des Aargaus. Roman Winkler ist Geschäftsführer des Familienbetriebs. Der studierte Ökonom führt den Betrieb in dritter Generation. Die zweite Generation bringt sich in der Person von Inhaber Kurt Winkler seit 60 Jahren ein.

 

Mit einem Team von rund zehn Mitarbeitern bringen die Holzbieger Massivholz in fast jede Form – in Längen bis viereinhalb Meter und Dicken bis gegen zehn Zentimeter. Und in erstaunlich enge Biegeradien bis zu fünf Zentimeter. Das Holzbiegewerk produziert hauptsächlich gebogene Teile für Möbel, und es findet dabei als Zulieferer seine Kundschaft zum grössten Teil in der Schweiz. Aus der Schweiz stammt übrigens auch der überwiegende Teil des Massivholzes, das hier in Form gebracht wird.

 

Referenzen an bester Lage

 

Zunehmend verzeichnet Winkler Aufträge aus dem Objektbereich: für gerundete Ladentheken, für geschwungene Raumtrenner oder Schaufensterabschlüsse zum Beispiel – und für viele Bänke im Aussenbereich. Der Vorteil von dampfgebogenem Holz liegt dabei in seiner Robustheit: denn das Massivholz wird beim Biegen nicht verletzt, sondern nur verformt und behält alle seine guten Eigenschaften.

 

Winkler-Biegeteile finden sich an öffentlichen Bänken an prominenter Lage, so in Bern oder Genf, aber auch mitten in Zürich. Das Holzbiegewerk hat hier die dicken Eschenholzleisten für die Sitzbänke geformt, die sich an der Tramhaltestelle Central nach dem Entwurf von S2 Stucky Schneebeli Architekten aus Zürich elegant um die Dachstützen mit den Plakatflächen dazwischen winden. Sie erinnern an die runden Sitzbänke, die sich auf alten-Raddampfern aus der Belle Epoque finden.

 

Bugholzteile würden aber zunehmend auch für Fassaden verlangt, so Winkler. Gebogene Dachuntersichten fertigt das Holzbiegewerk derzeit zum Beispiel für ein Generationenhaus in Kriens; ein riesiges Bullauge wirkt bei einem Kindergarten in Dietikon als Blickfang.

 

Bugholz-Bijou im Aargau

 

Ein regelrechtes Bugholz-Schmuckkästchen haben die Zürcher Fiechter & Salzmann Architekten einer Schule im Kanton Aargau geschenkt: Es ist der fein detaillierte Velounterstand für ein Schulhaus in Niederrohrdorf. Er hat in der Region Nord des Prix Lignum 2018 eine Anerkennung geholt. Die Tragkonstruktion aus Brettschichtholz ist innen sichtbar. Rings um den Bau zieht sich eine Bugholz-Bank aus lasierter Fichte und Esche als Pendant zum weit auskragenden Dach.

 

Immer wieder gefragt ist Winkler-Know-how für Handläufe, wie sie gewundene Treppen über mehrere Stockwerke erfordern. Auftraggeber für solche Sonderanfertigungen sind in der Regel Geschäfte – jüngst etwa ein bekannter Juwelier an der Zürcher Bahnhofstrasse, der für seinen Neubau an dieser Top-Lage keinen Aufwand gescheut hat –, aber auch Private gehören zu den Nachfragern.

 

Holzplatten wie Gummi

 

Einen ganz anderen Weg, um Holz geschmeidig zu machen, hat der Holz-Tüftler Serge Lunin ab 2007 mit ‹dukta› entwickelt. Der gelernte Bau- und Möbelschreiner wirkt als Gestalter und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Zusammen mit seinem 2015 ins Geschäft eingestiegenen Sohn Pablo Lunin, einem gelernten Produkt- und Industriedesigner, führt er die 2011 gegründete Firma dukta GmbH.

 

Die beiden arbeiten nicht mit stabförmigen, sondern mit flächigen Holzmaterialien. Sie haben sich der Kunst verschrieben, Holzwerkstoffplatten – in der Regel Sperrholz, Mehrschichtplatten oder MDF, ausnahmsweise auch einmal Massivholz – nicht etwa mit Laser, sondern mit der Fräse so zu perforieren, dass sie quer zu den Schnitten fast schon gummiartig biegsam werden.

 

Die Platten entfalten damit die volle Flexibilität des Materials, während die statische Festigkeit in der Schnittrichtung unverändert erhalten bleibt. Die angewendeten Schnitttypen nach patentierten Einschnittverfahren unterscheiden sich optisch deutlich und öffnen damit das Feld für gestalterische Variationen. Sie tragen Namen wie ‹Linar›, ‹Foli›, ‹Janus› oder ‹Sonar›.

 

Spielerische Forschung

 

Die dukta-Holzwerkstoffplatten eignen sich für den Innenraum: als Element an Wänden und Decken – besonders für akustisch wirksame Anwendungen –, aber auch für freistehende Trennwände, Möbel oder Leuchten. Dabei können aufgrund der enormen Formbarkeit der Elemente überraschende Objekte bis hin zu veritablen Skulpturen entstehen. Vertreten ist die innovative dukta-Einschnitttechnik vor allem im Objektbereich, etwa in Bars und Restaurants oder in Büroumgebungen.

 

‹Es kommt Jahr um Jahr mehr Zug hinein›, freut sich Serge Lunin. Doch dukta soll nicht mit Investoren zu einem Produkt werden, das eine kommerzielle Eigendynamik entwickelt: Die Verfeinerung der bestehenden und die Entwicklung neuer Schnittformen oder auch die Suche nach besonderen Oberflächenbehandlungen, etwa für verbesserten Brandschutz, wollen Serge und Pablo Lunin selber in der Hand behalten. ‹Die Verbindung von Spiel und Forschung will ich mir nicht nehmen lassen. dukta ist work in progress›, macht Lunin klar. Man darf gespannt sein, was den beiden dukta-Machern in Zukunft noch alles einfällt.

 


INFOS ZU HOLZ

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