Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Brief aus Rivera: Tessiner Holzkette im Bann von Corona

Das Corona-Desaster trifft das Tessin mit voller Wucht. Die Südschweiz hat in der Folge schärfere Massnahmen umgesetzt als der Rest des Landes. Welche Auswirkungen haben sie auf Wald und Holz im Tessin, und wie lässt sich die Holzbranche im Tessin nach dem Shutdown wieder hochfahren? Danilo Piccioli, Direktor der Federlegno Ticino, zur Situation der Holzkette auf der Alpensüdseite.

Danilo Piccioli
Direktor Federlegno Ticino
Bild zvg

 

Seit gestern abend wissen wir: Der Bundesrat verlängert die Corona-Massnahmen in der Schweiz um eine Woche bis 26. April und will sie danach noch in diesem Monat schrittweise lockern. Aufgrund der epidemiologischen Situation hat die Landesregierung den Kanton Tessin ermächtigt, die Einschränkungen von Wirtschaftsbranchen bis am 19. April zu verlängern. Aber was geschieht danach? Wie kommt die Holzbranche wieder in Schwung?

federlegno.ch vertritt die  Lignum auf der Alpensüdseite. Sie vereinigt als Dachverband die gesamte Holzkette im Tessin und im Misox, vom Waldbesitzer bis zum Schreiner. Gemäss Statistik 2019 umfasst die Tessiner Holzbranche 143 Unternehmen, die rund 1300 Mitarbeitende und 232 Lernende beschäftigen und einen Gesamtumsatz von etwa CHF 180 Mio./Jahr erzielen.

Das operative Team von federlegno.ch in Rivera besteht aus dem Schreibenden als Direktor, einer Direktionsassistentin und der Redaktorin der Zeitschrift ‹Forestaviva›, während sich der Exekutivausschuss aus Berufsleuten als Vertreter der einzelnen Berufsbereiche der Holzkette zusammensetzt.


Vom Geschehenen zur Zukunft

Die anhaltende Gesundheitsnotlage ist für federlegno.ch Anlass, die spezifischen Bedingungen der Branche und die Vorgehensweise in den Betrieben auf der Basis ihrer sozialen und ethischen Grundlagen zu reflektieren und in die Zukunft zu denken. In der Rück- und Vorschau zeichnen sich drei deutlich getrennte Phasen des Geschehens ab.

Am Anfang verdichtete sich aufgrund der ersten Epidemieherde bei den Menschen und in den Betrieben schrittweise die Erkenntnis, dass sich eine Notlage zusammenbraute. Darauf folgte die Stillegung der Baustellen und der Produktionstätigkeit im Tessin – nicht aber im Misox. Das ist der Stand von heute; vorauszudenken ist die künftige Wiederbelebung der Wirtschaft. 


Enge Verschränkung mit der Lombardei

Der Kanton Tessin stellt geografisch einen Schweizer Keil in der Lombardei dar. Seit je haben die Unternehmer der Holzkette mit den italienischen Nachbarn gehandelt und Grenzgänger im Betrieb angestellt. Dieser direkte Austausch liess die Gewissheit über das Gesundheitsproblem, dass sich zunächst in der Lombardei entwickelte und ab Ende Februar mit aller Wucht auf das Tessin einstürzte, rasch wachsen.

Verhaltensanpassungen in den Betrieben zur Erhaltung der Gesundheit mit Blick auf Mitarbeiter und Kunden wurden schrittweise in allen Abschnitten der Holzkette eingeübt. In Voraussicht kommender Einschränkungen auch der Mobilität gelang es federlegno.ch, die nötige digitale Infrastruktur zu implementieren, um auch im Home-Office-Modus weiter operativ tätig sein zu können.


Bremsung bis zum Stillstand

Im Tessin verordnete der Staatsrat per 23. März die Stillegung der Produktionstätigkeit und der Baustellen. Branchenverbände begrüssten den Entscheid der Regierung umgehend; einige Unternehmen hatten bereits ab 16. März auf freiwilliger Basis geschlossen. Es blieb somit ausreichend Zeit, um sich für die Sicherung der Baustellen zu wappnen. Danach unterbrach auch die Holzindustrie ihre Produktion. Derzeit dürfen italienische Grenzgänger noch nicht wieder zur Arbeit in die Schweiz kommen. 

federlegno.ch hilft zahlreichen, oft kleinen Unternehmen nach Kräften beim Ausfüllen der Kurzarbeitsformulare und der Beantragung der finanziellen Unterstützung, welche der Bundesrat bereitgestellt und ab 26. März verfügbar gemacht hat; sie wird von den Betrieben sehr geschätzt.


Erhalt strategisch wichtiger Leistungen

In den kommenden April-Wochen werden wir uns nach und nach mit dem Hochfahren unserer Betriebe auseinandersetzen müssen. Einige davon konnten indessen von Anfang an ihre branchenspezifisch strategische Bedeutung beweisen, indem sie in einem Geschäftsbereich Kontinuität sicherstellten.

So haben sich etwa einige mit Unterhaltsarbeiten der Konsortien für Verbauungen oder von Energieversorgungsunternehmen beauftragte Forstunternehmungen für Bereitschaftsdienste bei wetterbedingten Notfällen zur Verfügung gestellt. Die für den technischen Unterhalt in Krankenhäusern verantwortlichen Schreinereien hielten sich für unvorhergesehene Reparaturen bereit.


Anlaufphase mit Vorfertigung

In der ersten Phase des Neustarts dürfte der Faktor, der sich am stärksten auf die Arbeit auf den Baustellen auswirkt, das wohlüberlegte Vorgehen je nach Art des Betriebs sein. Forstunternehmungen können Holzschläge in Wäldern vorrangig angehen, welche weiter entfernt von Ortschaften liegen. Schreinereien können mit der Verarbeitung der Lagerbestände anfangen und die Produktion von Halbfabrikaten nach und nach erhöhen.

Verschiedene Zimmereien haben in der Woche vor der Stillegung auf Vorrat eingekauft, damit der Betrieb mit der Vorfertigung wieder anlaufen kann; andere werden auf den offengebliebenen Baustellen die Arbeit wieder aufnehmen, alternierend gemäss Absprache unter den verschiedenen Handwerkern.


Sicherheitsabstand weiterhin einhalten

Vorausschauend vorbestellt haben auch viele Schreinereien, die sich damit für die Wiederaufnahme des Betriebs eine Übergangsphase mit Vorfertigungsarbeiten gesichert haben. Schwierigkeiten bei der Weiterarbeit könnten bei Aufträgen auftreten, bei denen physische Nähe zur Auftraggeberschaft unvermeidlich ist, weil alle Arbeiten in bewohnten Einheiten ausgeführt werden müssen. 

Rund um die Baustellen werden jedenfalls immer Massnahmen wie die Einhaltung des Sicherheitsabstandes nötig sein. Diesem Aspekt sollte jedes Unternehmen und jeder Mitarbeiter besondere Aufmerksamkeit schenken und entsprechend verantwortungsvolles Verhalten an den Tag legen.


Aufstieg von der Talsohle

Die allmähliche Rückkehr zur Normalität wird unter der Voraussetzung eines Holzmarktes auf historischem Tief stattfinden und damit umgehen müssen, dass es zu Kündigungen oder etwa zur Neufestsetzung von Preisen bei noch offenen Lieferverträgen kommen kann. Wirksames Lobbying für Schweizer Holz könnte die Holzkette beim Wiederanlaufen straffen helfen; allenfalls könnten auch gezielte Ergänzungen auf gesetzlicher Ebene von Nutzen sein.

federlegno.ch steht in engem Kontakt mit den kantonalen Behörden und Mitgliedsverbänden, um Branchenlösungen zur Vereinfachung des durchgängigen Wiederanlaufens der gesamten Holzkette zu fördern. Einige unserer Vorschläge gehen in Richtung einer Verschiebung der Holzernte im Schutzwald bis Anfang Sommer, wo dies im Kastanien-Gürtel möglich ist.


Massive staatliche Unterstützung

Vertieft geprüft wird ein Antrag auf Einführung von Verfahrenserleichterungen für die Unternehmen der Holzbranche im Rahmen des kantonalen Submissionsgesetzes (LCPubb). Eine interessante Thematik ist der Rückgang der Luftverschmutzung. Derzeit erhebt federlegno.ch Daten für eine Analyse dazu, inwiefern Holzfeuerungen tatsächlich für Luftbelastungen sorgen, während Verkehr und Industrie auf einem Minimum laufen.

Der Bund hat inzwischen mutig gehandelt und dabei Grenzen der Lehre mutig verschoben, so mit der Vervielfachung von Mitteln für den Erwerbsersatz, mit der Bereitstellung von verbürgten COVID-Überbrückungskrediten sowie mit gezielten weiteren Finanzmassnahmen. Der Bundesrat hat dabei immer auf den nationalen Zusammenhalt geachtet.


Ohne Opfer wird es nicht gehen

Schon jetzt müssen Unternehmen und Bürger sich jedoch dessen bewusst sein, dass wir nach Überwindung dieser schwierigen Zeit gewisse Opfer in Kauf nehmen müssen, um die wirtschaftliche Ordnung unseres Landes wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dieses wiederherzustellen, wird mit Blick auf die nächsten Generationen höchste Priorität haben.

Fest steht, dass die sanitarische Notlage die Widerstandsfähigkeit der Tessiner Holzbranche auf eine harte Probe stellt. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass der eiserne Durchhaltewille, wie ihn unsere Unternehmen in diesen Zeiten der Unsicherheit an den Tag legen, der Schlüssel für ein Wiedererstarken auf breiter Front ist.

Ich wünsche allen gute Gesundheit!


Danilo Piccioli
Direttore Federlegno Ticino